Gelungene Konzert-Premiere

Der neu gegründete Chor „Beurer CantaRhei“ überzeugt in seinem Konzert „…trotz des Todes Rachen“ in der nahezu ausverkauften Pfarrkirche St. Hedwig auf ganzer Linie.

Die Idee der charismatischen Initiatoren Karl Prokopetz und seiner Partnerin Anna Töller, in Neubeuern Ende 2018 einen neuen Chor aufzubauen, ist aufgegangen. Die Mitglieder des neu gegründeten Chores „Beurer CantaRhei“ hätten sich nach der Auflösung der „Chorgemeinschaft Neubeuern“ zusammengefunden, um unter einer neuen Philosophie in die Zukunft zu gehen, erläutert Dirigent Karl Prokopetz. Der Chor verstehe sich als Laienchor, der sich auf Basis konsequenter Stimmbildung selbst die Möglichkeit erarbeite, anspruchsvolle A-Cappella-Werke aller Epochen erarbeiten und aufführen zu können. Über 50 leidenschaftliche Sängerinnen und Sänger aus dem ganzen Landkreis und darüber hinaus habe „Beurer CantaRhei“ mit diesem Ziel zwischenzeitlich angezogen.

Zu Beginn des Konzerts erklingt die Motette „Jesu, meine Freude“ von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Bach meditiert darin Liedstrophe um Liedstrophe des gleichnamigen Chorals und kontrapunktiert letztere mit freien Vertonungen aus dem Römerbrief zu einer unvergleichlichen, nur bei ihm zu findenden theologisch-musikalischen Synthese: Eine „Klangpredigt“ als Paradebeispiel der typisch protestantischen Kirchenmusik.

Prokopetz‘ Interpretation ist je nach Affekt reich an Farben und Schattierungen, sein Dirigat ausdrucksstark und lebendig. Gelegentlich gibt er dem Chor durch lediglich minimalistische Bewegungen aber auch große Freiheiten und musikalische Eigenverantwortung. In den Trio-Sätzen reduziert er die Chorstärke und lässt lediglich einige wenige jeder Stimmgruppe singen. An diesen Stellen hätte der Klang entsprechend der kleineren Besetzung gerne noch intimer ausfallen dürfen. Ein Höhepunkt der Motette ist gewiss Satz Nr. 5 „Trotz dem alten Drachen“, wo die Bässe mit einer wilden Koloratur das Toben der Welt klangstark zum Ausdruck bringen. Besondere Brillianz entfaltet der Chor beim inhaltlichen Klimax in Satz 10: „So nun der Geist dess‘, der Jesum von den Toten auferwecket hat, in euch wohnet, so wird auch derselbige […] eure sterblichen Leiber lebendig machen.“ Im Unterschied zu vielen bekannten Interpretationen schließt Prokopetz verhalten und eher kontemplativ ab: „dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu, meine Freude.“

Dieser Klangpredigt folgt sinnig eine Vertonung des „Gebets des Herrn“. Guiseppe Verdis (1813-1901) „Pater noster“ in der Textfassung von Dante Alighieri mutet als einziger Romantiker zwischen den anderen Werken des Konzerts allerdings etwas fremd an.

Als zweiten Schwerpunkt des Konzerts präsentiert „Beurer CantaRhei“ danach einen Kanon von sechs fünfstimmigen Motetten aus der Sammlung „Geistliche Chormusik 1648“ von Heinrich Schütz (1585-1672) – ebenfalls einem Großmeister der protestantischen Kirchenmusik -, die durch die geschickt ausgewählte Reihenfolge eine ähnliche inhaltliche Fortschreitung wie die Bach-Motette eingangs aufweisen.

Bei diesem „Best of“ der Schütz’schen Motettenkunst gewinnt der Hörer fast den Eindruck, der Chor freue sich nach dem Italienisch des Verdi wieder über die deutsche Sprache, so spritzig und verständlich präsentiert er die anspruchsvollen Motetten. Neben der sprachlichen Prägnanz und der affektvollen Deklamation ist die Freude und Leichtigkeit hervorzuheben, mit der „Beurer CantaRhei“ die rhythmische Polyphonie der Motetten beherrscht. So inspiriert und mitreißend hört man Schütz nur selten!

Der Chor ist für dieses anspruchsvolle gut 50minütige Programm gut präpariert und eingestellt, wirkt äußerst fokussiert und konzentriert. Besonders erfreulich: Von der Schülerin bis zum Rentner singen in diesem Chor sämtliche Generationen vereint nebeneinander. Außerdem sorgen verhältnismäßig viele Herren für eine angenehme Klangbalance von Frauen- und Männerstimmen.

Michael Anderl gibt dem Chor als verlässlicher Continuo-Spieler von der Truhenorgel aus die über weite Strecken des Konzerts gar nicht nötige Intonationsstütze. Ist die Verwendung der Orgel bei Gallus, Schütz und Bach aufführungspraktisch zu rechtfertigen, erschließt sie sich bei Verdis „Pater noster“ nicht. Schade, dass die Orgel gerade hier an manchen Stellen feine dynamische Nuancierungen durch eine einheitliche Registrierung nivelliert.

Das Konzert schließt als logische Konsequenz mit einem weiteren „Pater noster“, diesmal als achtstimmiger Doppelchor des Renaissance-Meisters Jacobus Gallus (1550-1591) mit konzertantem Wechselspiel zwischen vier Frauen- und vier Männerstimmen.

Nach dem der Chor von der Bühne abgegangen ist, umarmt Dirigent Karl Prokopetz seine Chormitglieder herzlich: Alle wirken erleichtert und zufrieden, vielleicht sogar ein wenig „selig“. Am Ende dieses sehr hörenswerten Konzertabends kann man sich dem finalen fulminanten, sich förmlich überschlagenden „Amen“ von Gallus nur anschließen, auch was die Zukunft und Entwicklung von „Beurer CantaRhei“ betrifft: „So soll es sein!“

(Diese Besprechung stammt von Joh. Eppelein für das „Oberbayerische Volksblatt“. Wegen eines Kommunikationsfehlers wurde sie nicht veröffentlicht, fand sich aber in den Untiefen der Zeitungsserver wieder…)